MetalHart hat geschrieben:Ich komme ja schon kaum dazu, wirklich wesentliche Dinge zeitnah zu erledigen... :(
Damit ist eigentlich alles gesagt, was es zu dem Thema zu sagen gibt.
Metal ist in erster Linie Ware. Alles vom Satanisten-Image bis hin zur Fetischisierung von Vinyl dient nur dazu, diesen Warencharakter zu verschleiern. Die Käufer (ja, die Käufer) tun alles mögliche, um möglichst unangepasst zu wirken. Sie KAUFEN Tapes statt CDs, ziehen sich Che-Guevara-Shirts an und besaufen sich auf Festivals. Eine schöne, kleine Illusion, mit Metal tatsächlich etwas bewirken zu können, tatsächlich eine Revolution (LOL...) gegen das Establishment starten zu können. Leider endet der große Selbstbetrug, wenn man erkennt, dass sich die Aufmüpfigkeit im Symbolischen erschöpft.
Der vermeintliche Aufstand gegen den bösen Staat und die böse, böse Industrie, der ja für die ach so unangepasste Metal-Szene eine so große Rolle spielt, ist nur möglich, wenn man Tag für Tag in die Arbeit läuft, sich Geld für T-Shirts und das Sammeln von Tonträgern verdient, um es letztlich wieder in das gleiche System zu pumpen, von dem ich mich als Arbeitskraft durch meinen Wunsch "anders zu sein" abhängig gemacht habe. Ein schöner kleiner Spielplatz, den die Industrie für ihre Kinder hier zum Austoben bereitgestellt hat. Aber wehe, man wird zu übermütig und versucht, den akribisch überwachten Freiraum, der mir im Sandkasten zur Selbstverwirklichung zur Verfügung gestellt wurde, zu verlassen...
In zweierlei Hinsicht praktisch für die Industrie: das System wird a) durch den Dauerkonsum, der für den Drang, sich abzugrenzen unabdingbar ist, am Laufen gehalten und b) die Konsumenten kommen nicht auf wirklich dumme Gedanken, weil sie sich dank Black Metal, Che-Guevara-Shirt und CD-Verweigerung ohnehin schon als Untergrund-Miliz und "Subkultur" wähnen. Für wirklich wesentliche Dinge - wie MetalHart schrieb - bleibt zwischen der ständigen Suche nach Differenz in dieser großen spektakulären Illusion keine Zeit. Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Die Herrschenden sagen danke.
Abgesehen davon, dass alle Konzepte von "Subkultur", die in der "Analyse" oben kurz angesprochen wurden, in der Forschung und in der Realität schon seit etwa 15 Jahren überholt sind und nicht mehr verwendet werden, war es auch nicht der Metal, der in den 1990ern das Vinyl am Leben gehalten hat, sondern die Elektro- und HipHop-Szenen. Genauso anzuzweifeln ist die Aussage, das Cover habe im Metal verglichen mit anderen Genres einen besonders hohen Stellenwert.
Dennoch eine schöne, romantische Vision von Heavy Metal als ein dem Mainstream fernes Refugium, wo Widerstand, die Freiheit der Kunst und wahre Freundschaft unter echten Männern und Musikkennern noch möglich ist, der ich mich selbst auch gerne hingebe. Manchmal wach ich aber dann doch auch und frag mich, ob ich nicht mehr an den Verhältnissen verändern könnte, wenn ich mich im örtlichen Gemeinderat dafür einsetzte, dass das Neubaugebiet endlich mit einer zweiten Ampel an den Ortskern angeschlossen würde, anstatt meinen Tag damit zu verbringen wie ein Zombie vor einem Bildschirm zu sitzen und mich mit Posts über meine aktuellen fünf Lieblingssongs als Teil einer "Untergrund"-Szene zu positionieren. Cui bono?
Sblood, thou stinkard, I’ll learn ye how to gust … wolde ye swynke me thilke wys?